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Ahmad Alsayed erlebte auf der Flucht den schlimmsten Albtraum – zwei Mal

Die Eltern von Ahmad und Nour Aldeen Alsayed haben ihr gesamtes Hab und Gut verkauft, um ihren Söhnen die Flucht vor dem Tod zu ermöglichen.

Ahmad Alsayed ist 25 Jahre alt. Er kommt aus einem der zentralen Brennpunkte Syriens – Damaskus. Gemeinsam mit seinem sechs Jahre jüngeren Bruder Nour Aldeen Alsayed machte er sich auf den Weg nach Europa. Ihnen drohte zuhause wie so vielen anderen jungen Männern der Tod. Ahmed sollte in die syrische Armee eingezogen werden. Er weiß: „Dort überlebt man höchstens zwei Monate.“

Als der Krieg in Syrien begann, stand für Familie Alsayed fest, in der Heimat auszuharren. „Wir wollten nicht weg“, sagt Ahmad Alsayed. Der Familie ging es früher gut. Er selbst war Englischlehrer an einer privaten Schule. Sein jüngerer Bruder Nour Aldeen Alsayed war ein guter Schüler, begann später ein Physikstudium. Der Vater war Ingenieur, die Mutter Managerin. Doch die Stimmung änderte sich, als immer mehr Freunde der beiden jungen Männer in die syrische Armee eingezogen wurden. „Sie alle alle alle kamen nach spätestens zwei Monaten zu ihren Familien zurück – tot. Wir hatten Angst“, sagt Ahmad Alsayed. Ein Fluchtplan wurde geschmiedet.

Als erstes verkauften die Eltern ihre Wohnung, um den Söhnen genügend Geld für die Flucht geben zu können. Über Beirut im Libanon ging es für Ahmad und Nou Aldeen Alsayed in die Türkei. In den drei Wochen, die sie dort blieben, misslang viermal die Flucht. „Die ersten drei Male wurden wir am Strand geschnappt, als wir ein kleines Boot besteigen wollten“, berichtet Ahmad Alsayed. Beim vierten Versuch kamen sie zwar bis zum Boot, das war jedoch nicht seetauglich und begann auf offenem Meer zu sinken.

Ahmad Alsayed erlebte in dieser Nacht den schlimmsten Albtraum: Er fiel über Bord und es schien, als würde er diese Reise nicht überleben. Doch er hatte Glück und konnte sich zurück ins Boot retten. Mit letzter Kraft schaffte es die Gruppe zurück ans Festland. Ein Zurück kam für die beiden Brüder nicht in Frage. „In Syrien wären wir auch gestorben“, sagt Ahmad Alsayed. „Also konnten wir es auch gleich noch einmal probieren.“ Dieses Mal brachte die Besatzung die Flüchtenden bis auf die Griechischen Inseln. Von dort ging es weiter nach Athen und nach Mazedonien.

Wichtigstes Navigationsmittel war auf der Reise das Handy mit mehreren Chatgruppen. „Darin haben wir immer wieder erfahren, wo Gefahren lauern und welcher der derzeit beste Weg ist“, sagt Ahmad Alsayed. Innerhalb von 24 Stunden durchquerten die Brüder so Mazedonien, Serbien und Kroatien und kamen in kurzer Zeit bis nach Slowenien. „Dort erlebten wir den schlimmsten Teil der Flucht. Das war mehr als ein Albtraum. Das war unbeschreiblich“, sagt der junge Mann mit stockender Stimme. Noch Wochen später träumt er von diesem Ort.

Insgesamt sechs Tage mussten Ahmad und Nour Aldeen Alsayed an einem Ort ohne Wände, ohne Dach, ohne festen Boden und ohne Betten oder Schlafsäcke verbringen. Die Tage und Nächte waren kalt und feucht. Die Flüchtenden wurden der Reihe nach krank. Sie husteten, schnieften, bekamen Schüttelfrost. „Den Soldaten die uns bewachten war das egal. In der Nähe gab es sogar einen Supermarkt. Wir hatten Geld doch wir durften uns nichts kaufen“, sagt Ahmad Alsayed. Selbst eine Einheimische, die sich der Brüder annehmen wollte, bekam den Gewehrkolben eines Soldaten unsanft zu spüren. „Menschen ohne Dach über dem Kopf, ohne Nahrung und ohne Perspektive werden böse“, beschreibt Ahmad Alsayed seine Erfahrungen. Ein Journalist, der vor Ort war, setzte sich für die Gruppe ein. So gab es ab und zu etwas zu essen. Nach sechs Tagen durften die Menschen über die Grenze nach Österreich.

Dort standen Zelt bereit. Mit einem Taxi ging es nach Salzburg, wo sich die Brüder für eine Nacht ein Hotelzimmer teilten und von dort weiter an die deutsche Grenze. Erst auf der Flucht hatten sich Ahmed und Nour Aldeen Alsayed entschlossen, nach Deutschland zu fliehen. Der ältere der beiden Brüder erklärt das so: „Wir haben auf der Reise viele Helfer erlebt. Fast alle waren Deutsche. Da wussten wir, Deutschland ist ein gutes Land. Hier wollen wir her.“

Am 2. November 2015 erreichten Ahmad und Nour Aldeen Alsayed mit Deutschland das Land ihrer Träume. In München wurden ihre Personalien aufgenommen. Von dort aus ging es weiter nach Berlin und schließlich nach Frankfurt an der Oder. Dort hatte Ahmad Alsayed zum ersten Mal Zeit, die vergangenen Wochen und Monate zu reflektieren – zumindest kurz. Denn Zeit vertrödeln ist seine Sache nicht. Bereits am zweiten Tag begann er, Deutsch zu lernen. Ein ehemalige Lehrer kommt regelmäßig ins Erstaufnahmelager. Jedes Mal bildet sich eine Traube wissbegieriger Menschen um den Pensionär. Zu ihnen gehören Ahmad und Nour Aldeen Alsayed.

Drei Sachen hatte Ahmad Alsayed seinem Vater vor der Flucht versprechen müssen: Lerne Deutsch in drei Monaten, schließe dein Studium ab und finde eine gute Arbeit. Daran arbeitet der 25-Jährige mit Hochdruck. Schnell hat er bemerkt, dass Deutschland eine sehr gute Wahl war. „Meine Familie hat eigentlich ein deutsche Mentalität“, sagt er. „Wir sind ordentlich, organisiert und lernen gerne. Meinen Eltern würde es hier gut gefallen.“